Freitag, 20. Mai 2011

Nicaragua in Zahlen Teil 3: Gesundheitssystem

Das oeffentliche Gesundheitssystem in Nicaragua ist offiziell gratis - ebenso wie die Bildung.

Leider muss bei diesem Thema als Erstes festgehalten werden, dass es in den letzten Jahren bzw. den beiden Jahrzehnten zu Verschlechterungen anstelle von Verbesserungen kam.
Von 1979 (Beginn der sandinistischen Regierung) bis 1990 gab es in Nicaragua eine medizinische Grundversorgung: Flaechendeckende Gesundheitszentren sowie Aerzte- und Gesundheitsposten boten eine kostenlose ambulante Versorgung an und Praeventivmassnahmen wie Aufklaerung der Bevoelkerung in Hygienefragen und Impfungen hatten eine hohe Prioritaet. Das System bestand aus 3 Saeulen (Krankenhaeuser, Gesundheitszentren und Gesundheitsposten), die Verwaltung wurde zentral gefuehrt und der Einkauf von Medikamenten aussschliesslich in grossen Mengen und zu guenstigen Zeitpunkten vom Gesundheitsminister getaetigt. Zudem gab es sogenannte Volksapotheken (farmacias populares), die Medikamente zum Einkaufspreis verkauften.

Die Schaffung und Erhaltung eines solchen Gesundheitssystems setzt jedoch finanzielle Mittel voraus. Diese wurden nach dem Machtwechsel von 1990 von der konservativ-liberalen Regierung stark gekuerzt. Der Grund hierfuer lag vor allem in der hohen Staatsverschuldung und den daraus resultierenden Auflagen der internationalen Finanzinstitutionen wie IWF (Internationaler Waehrungsfonds) und der Weltbank. "Strukturanpassungen" waren die Folge und implizieren seit den 90er Jahren Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung im nicaraguanischen Gesundheitsbereich. Es kam folglich zu erheblichen Kuerzungen im Sozialbudget, umfangreichen Entlassungen im oeffentlichen Dienst und landesweiten Schliessungen von zahlreichen Gesundheitsposten. Zwischenzeitlich wurde sogar der Einkauf von Medikamenten gestoppt.
Wie dies in der Realitaet genau aussah, verdeutlicht folgendes Beispiel am besten: 1989 hat die sandinistische Regierung noch etwa 50 US-$ pro Jahr und EinwohnerIn in das Gesundheitswesen investiert, 2004 waren es nur noch 16 US-$.. Das bedeutet, dass die Ausgaben um 68% gesenkt wurden! Von diesen 16 US-$ werden wiederum fast 80 % fuer die Einkommen der AerztInnen ausgegeben, obwohl auch diese zum Teil unter der Armutsgrenze leben (Aerzte erhalten in Nicaragua in etwas das gleiche Gehalt wie Lehrer, siehe letzter Beitrag "Bildungssystem"). Fuer den Einkauf neuer Medikamente gibt es somit kaum Spielraum. Heute sind die Ausgaben des Haushaltes fuer Gesundheit um 40% geringer als unter den Sandinisten, wohingegen die Bevoelkerung um 40% gewachsen ist. 

Gerade am Beispiel der Apotheken, die „dezentralisiert“ wurden, laesst sich der sogenannte „Modernisierungsprozess“ am besten nachvollziehen: Dieser sieht vor, dass sich alle Apotheken und Krankenhaeuser selbst um die Besorgung ihrer Medikamente kuemmern muessen - der freie Markt als Loesung des Problems.. Praktisch ist es fuer eine kleine Apotheke aber nicht moeglich, Medikamente zu Preisen zu erwerben, die ein Staat in Grosseinkaeufen zum richtigen Zeitpunkt zahlen wuerde.
Der allgemeine Gesundheitszustand der Bevoelkerung hatte sich somit  auf Grund der vorherigen Ausfuehrungen entsprechend dramatisch verschlechtert und es hat sich eine hat eine sogenannte "Zwei-Klassen-Medizin" entwickelt: Wer zahlen konnte, bekam eine gute Behandlung westlichen Standards, wer nicht, der erhielt bestenfalls eine Diagnose, konnte sich eine Therapie oder die erforderlichen Medikamente aber nicht leisten.

Seit Anfang 2007 wurde die Gesundheitsversorgung von der amtierenden FSLN-Regierung wieder kostenfrei gestellt. Zahlreiche Gesundheitsposten und einige Krankenhaeuser wurden gebaut bzw. saniert. Die Versorgung mit medizinisch notwendigen Materialien und Medikamenten wurde deutlich verbessert. Ebenso nahmen die Zahlen der Vorsorgeuntersuchungen bei Schwangeren und der medizinisch betreuten Geburten sowie der nachgeburtlichen Kontrollen zu. Auch Beratungen zur Familienplanung werden erheblich mehr in Anspruch genommen.

Es existiert eine staatliche Krankenversicherung in Nicaragua, sie erfasst aber nur Menschen, die in einem festen Beschaeftigungsverhaeltnis stehen. Jedoch hat aber nur 37% der arbeitenden Bevoelkerung heute ein formales Arbeitsverhaeltnis.
In diesem Fall zahlt der Arbeitnehmer einen Anteil von 6,25%, waehrend der Arbeitgeber 16% uebernimmt. Die Anzahl der fest angestellten Nicaraguaner in der staatlichen Krankenversicherung hat auf Grund der hohen Strafen bei Nichtbeachtung dieses Gesetzes bereits zugenommen. Immerhin ein kleiner Erfolg.. 

In Nicaragua sterben Menschen trotzdem immer noch leicht an Krankheiten, die an sich nicht toedlich sein muessten. Die Gesundheitsstatistik der nicaraguanischen Bevoelkerung wird entscheidend von der nach wie vor herrschenden Armut bestimmt. Dies wird besonders deutlich, wenn man solche Probleme analysiert wie Muettersterblichkeit, Kindersterblichkeit, Sterblichkeitsrate bei Kindern unter 5 Jahren und die Unterernaehrung. Mindestens ebenso gravierend sind die Auswirkungen der unzureichenden Entsorgung von Muellabfaellen und Abwasser auf die Gesundheit. Nur ein Fuenftel der Haushalte in Nicaragua koennen ihren Muell und Abwasser hygienisch ordnungsgemaess entsorgen..  

Man sollte nicht vergessen, dass neben Regierungsentscheidungen, Bestimmungen im Arbeitsrecht und oekonomischen Bedingungen auch soziale Faktoren die individuelle Gesundheit beeinflussen: Was kann ich mir persoenlich an Hygiene, ausgewogener Ernaehrung und Lebensbedingungen leisten?
Vor allem die Verbindung von Bildung und Gesundheit hat eine starke Bedeutung fuer die Situation der Menschen, gerade in aermeren Laendern. Folglich ist auch eine gute Bildung eine wichtige Voraussetzung fuer die eigene Gesundheit: Praevention, das Wissen um notwendige Vorsorgeuntersuchungen, Familienplanung, eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernaehrung und Hygiene.

Quellen:
http://staepa-berlin.de
http://oeko-buero.de
http://liportal.inwent.org/nicaragua/
http://www.kominform.at/article.php/20050712173236343
http://www.oefse.at/publikationen/laender/nicaragua.htm
http://www.lateinamerika-nachrichten.de/index.php?/artikel/2249.html

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